ABC-Etüde

Gerne habe ich mich wieder einmal von Christiane zu den ABC Etüden für die Textwoche 46/47 2021 einladen lassen. 
Dabei gilt es, drei vorgegebene Wörter in einen Text mit maximal 300 Worten einzubauen.
Die diesmalige Wortspende stammt von Heidi mit ihrem Blog Erinnerungswerkstatt und lautet:
Museum / biografisch / erinnern

Hier kommt meine Etüde:

Es ist Sonntag. Die Blätter verfärben sich, viele ruhen schon auf dem Boden. Sie mag das Geräusch, das ihre Füße beim Berühren des Laubs verursachen. Herbstmusik, so nennt sie es leise. Wenige Leute sind heute hier. Sie schlendert und bleibt vor einer Skulptur stehen, die den Namen „Die Lesende“ trägt. Jemand hat Herbstastern auf den Kopf der Skulptur gelegt, als trage die lesende Frau einen Blumenkranz.
Wie gerne ist sie hier. Dieses Museum im Freien, das eine Wohltat für ihre Sinne ist. Es ist einer ihrer Lieblingsorte. Zu allen Jahreszeiten kommt sie her. Kunst und Natur reichen sich an diesem Ort die Hand.
Sie kann sich daran erinnern, wann sie das erste mal hier war, es war als Kind mit ihren Eltern. Seitdem ist sie häufig hier. Die Wege kennt sie auswendig, doch gibt es immer Neues zu entdecken.
Die Frau betritt einen der Räume, die sich in die Natur einbetten, und betrachtet die dortigen Gemälde an den Wänden. Die Bilder des Künstlers sind biografisch angeordnet, das, vor dem die Frau nun stehen bleibt, malte er mit 80 Jahren. Es zeigt eine alte Frau, die aufschaut. Sie kennt das Bild schon, es zieht sie immer wieder in ihren Bann. Es ist der Blick der gemalten Frau. Als hätte die alte Frau alle Erfahrungen der Welt eingeatmet und mit ihren Augen festgehalten. Vielleicht muss jemand selbst viel erlebt haben, um so malen zu können, denkt die Frau beim Betrachten.
Schließlich löst sie sich von dem Bild und geht draußen weiter. Sie spaziert zum See, der sich mitten auf dem Museumsgelände befindet, und setzt sich auf die Bank. Die Rosen, die die Bank umrunden, sind welk, doch bereit, im nächsten Frühjahr erneut zu blühen. Die Frau atmet die Luft tief ein. Sie ist glücklich, einfach nur glücklich.

ABC-Etüde

Christiane hat wieder zu den abc.etüden, eingeladen, bei denen es gilt, 3 Begriffe in einem Text mit maximal 300 Wörtern zu verpacken. Die Worte stammen diesmal von Torsten mit seinem Blog Wortman und lauten:

Affe
neu
blockieren

Und hier kommt meine Etüde:

Wir müssen nicht das ganze Leben umkrempeln, um neue Energie zu spüren. Manchmal reicht eine Kleinigkeit. Den Weg zum Bäcker anders als sonst gehen, einen Umweg nehmen. Den Platz am Tisch ändern und eine neue Aussicht vom Küchenstuhl aus erleben. Mitten am Alltagsmittwoch das schönste Kleid hervorholen und tragen. Morgens meditieren, die Malstifte hervorholen oder endlich Buddenbrooks lesen. Den Schrank ausmisten und Sachen verschenken. Etwas ausprobieren. Wir haben doch alle diese verborgene Liste in uns, auf der geschrieben steht, was wir einmal ausprobieren wollen. Ideen, die wir einst hatten und die eingeschlafen sind. Es schleichen sich viele Gründe ein, die uns abhalten und blockieren, meist sind wir es selbst. Doch Gründe dürfen beiseitegeschoben oder in die Tasche gesteckt werden.
Manchmal funktioniert unser Inneres wunderbar. Eine Sache neu beginnen, weckt Lust auf etwas weiteres. Als wohne ein Domino in uns. Als stupse ein Stein den anderen an.
Bei ihr war es der Spanischkurs vor einigen Monaten. Sie mag den Klang der Sprache. Eines Tages wird sie in Spanien wandern und den Einheimischen mehr als ein „Buenas dias!“ zurufen können. Sie tippt „Mono“ in ihr Handy und freut sich, diese App entdeckt zu haben. Mono ist Affe, das kann sie sich gut merken, ebenso wie oso für Bär und gato für Katze.
Es blieb nicht beim Spanischkurs, auch ihr Französisch hat sie wieder aufgefrischt. Ein paar Wochen danach begann sie mit Laufen. Ein neue Tätigkeit kitzelt eine nächste wach. Sie mag es inzwischen, wenn sie über die Felder läuft, die Sonne aufgehen sieht, den Wind fühlt, ihre Füße auf den Waldwegen spürt. Sie fühlt, da ist noch vieles in ihr, das sie ausprobieren und machen möchte. Manchmal ist Leben leicht. Beginnen. Irgendetwas Neues ist immer da, das uns einladen möchte.  

ABC-Etüde

Christiane hat wieder zu den abc.etüden eingeladen, bei denen es gilt, 3 vorgegebene Begriffe in einem Text mit maximal 300 Wörtern zu verpacken. Die Worte stammen dieses Mal von Ulrike und ihrem Blog Blaupause7. Die drei Worte lauten: Lautsprecher, orange, erschüttern.

Und hier kommt meine Etüde:

Er schließt die Haustüre auf und stellt seine nassen Schuhe in den Flur. Die wohlige Wärme des Drinnen umgibt ihn. Nach solch einem Spaziergang in der frischen Januarluft, ist ein Tee genau richtig. Er setzt Teewasser auf. Die Katze kommt und streicht um seine Füße. Ihr schwarzes glänzendes Fell bildet einen Kontrast zu seinen orangenen Wollsocken. Er mag Kontraste. Nachdem der Tee genug gezogen hat, setzt er sich auf seine Bank ins Wohnzimmer und schaut hinaus. Tee, der Blick nach draußen, die Frische der Natur noch auf der Haut, die Katze neben ihm auf der Bank, ihr Schnurren beruhigend gut. Das sind Momente, in denen er fest davon überzeugt ist, dass ihn nichts erschüttern kann. Diese Momente braucht es, um all dem standzuhalten, was das Leben hin und wieder fordert. Von ihm und all den anderen 8 Milliarden Menschen da draußen. Der Tee wärmt, sein Duft unvergleichlich gut. Er geht zu seinem Plattenspieler, den er vor Kurzem aus dem Dachspeicher hervorgeholt hat, und legt eine Platte auf. Es gibt Lieder, die begleiten durchs Leben. Der Lautsprecher lässt Töne erklingen, die sich mit seinen Erinnerungen mischen. Er sieht sich tanzen, als 17-jähriger, die Haare lang, der Pulli weit, die Bewegungen suchend, er sieht sich als 25-jähriger, mit dem VW Bus eines Freundes in Frankreich, die Gitarre im Gepäck und diese Töne spielend, er sieht sich als 40-jähriger, die Haare längst kurz, Diagnosen in sich tragend und genau dieses Lied als Trost erlebend, er sieht sich als 60-jähriger, die Kinder groß, das Haar lichter, vieles geschafft und das Lied noch immer an seiner Seite. Nein, er will nicht mehr 17 sein, keine 25, 40 oder 60. Er will das sein, was er ist. Ein Mann, der spürt, dass das Leben endlich ist. Diese Endlichkeit schenkt dem Augenblick seine große Schönheit.

ABC-Etüde

Christiane hat zu den abc.etüden eingeladen, bei denen es gilt, 3 Begriffe in einen Text mit maximal 300 Wörtern zu verpacken. Die Worte stammen diesmal von Ludwig Zeidler und lauten:

Zedermordio / weichmütig / backen

Und hier kommt meine Etüde:

Kaffeeduft strömt in ihre Nase. Mit der Tasse in der Hand geht sie auf die Terrasse. Sie mag es, am winterlichen Morgen warm eingepackt hier draußen zu sitzen, den Nebel im Garten aufsteigen zu sehen und den Tag so zu beginnen. Auch im Winter singen die Vögel, es ist ein sanftes Lied.
Sie schmiedet Pläne für das Heute. Sie werden frühstücken, später wird sie spazieren gehen, ihre Mutter anrufen und aus den Äpfeln, die in der Kiste im Keller liegen, wird sie einen Kuchen backen, sie werden den Kuchen essen und er wird sicherlich malen, während sie Sudokos löst und den weiteren Tag verstreichen lässt. Mehr nicht, das reicht für einen Samstag im Januar. Sie empfindet die Januartage als weichmütig. Ja, denkt sie, dieses Wort beschreibt es gut. Er ist sanft, weich, kommt leise daher und gleichzeitig ist er mutig, steht für all das Neue und das Kommende. Vielleicht mag sie deshalb diesen Monat so. Die Kaffeetasse wärmt ihre Hände. Sie entdeckt ein Rotkehlchen. Etwas ist an diesem Vogel, das sie froh macht und sie vermutet, es geht vielen Menschen so.
Während sie das Rotkehlchen beobachtet und die Ruhe genießt, tönt aus dem Haus ein Poltern. Kurz drauf hört sie sein Rufen: „Zedermordio!“ Sie kennt niemanden außer ihm, der dieses Wort benutzt. Auch das ist ein Grund, ihn zu lieben. Sie geht rein, um nachzusehen, was passiert ist. Er sitzt auf der unteren Treppenstufe und reibt sich sein Bein. „Ausgerutscht“, sagt er, doch sein schiefes Lächeln zeigt, dass es nicht so schlimm ist.
Viel später am Tag strömt der Geruch von Apfelkuchen durch das Haus, die Kaffeetasse mit einem kleinen Rest ist draußen vergessen worden und das Rotkehlchen sitzt in einem anderen Garten. Vielleicht ist es genau dazu da, um überall seine Freude zu verschenken.

ABC-Etüde

Christiane hat zu den abc-Etüden eingeladen, wie immer gilt es 3 Begriffe in einen Text mit maximal 300 Wörtern zu verpacken. Die Worte stammen diesmal von Uli mit ihrem Blog Café Weltenall und lauten:

Quelle / griesgrämig / stöbern.

Hier kommt meine Etüde:

Sie geht dem Dezember entgegen. Sie möchte ihren Schritten nicht voraus sein, noch ist November und doch liegen ihre Gedanken schon im nächsten Monat. Vielleicht liegt es daran, dass der Adventsmonat wartet. Der Blick in die Fenster der Straßen sprechen bereits davon. Die Botschaften, die wortlos aus den Fenstern klingen, sind wie eine Zusage, dass dieser Monat Wohliges schenken wird. Ein Monat, der selbst die griesgrämigen Menschen erweichen wird.

Als sie Zuhause ist holt die die Weihnachtskiste von dem Dachboden. Sie trägt sie runter, stellt sie auf dem Holzboden des Wohnzimmers und setzt sich mit ihrem Sessel daneben. Weihnachtskisten laden zum Stöbern ein, nicht nur zum Dekorieren. Sie sind immer wie ein Eintreten in die eigene Vergangenheit. Sie packt jedes in Seidenpapier gewickelte Teil aus, hält es in den Händen und betrachtet es eine Weile. Mal ist es ein gebastelter Stern ihres Sohnes, dann ein gefilzter Engel ihrer Tochter, eine kleine Hirtenfigur, die ihr Mann einst schnitzte und die erste gemalte Weihnachtspostkarte ihrer Enkelin. Ein aus Pappmache hergestellter Wichtel, kaum als solcher zu erkennen und ein Tannenbaum aus Glas, den sie in Costa Rica entdeckte. Jeder Gegenstand erzählt seine Geschichte, die sie längst kennt, doch jedes Jahr aufs Neue sprechen lässt. Ihre ganze Lebensgeschichte ließe sich mit dieser einen Kiste erzählen, denkt sie, während sie das nächste Teil auswickelt. Diese Kiste ist eine Quelle an äußeren und inneren Schätzen.

Würde jemand an ihrem Haus vorbeigehen und hineinschauen, er würde dort eine etwa 80-jährige Frau sitzen sehen, kleine Gegenstände um sich verteilt und ein Lächeln in ihrem Blick und auf ihren Lippen, es ist, als lächle sogar ihr krauses graues Haar. Würde jemand dort vorbeigehen, er würde erahnen, dass wir nicht nur in dem Moment leben, immer ist das Gestern dabei und der Morgen wartet wie ein sanftes Versprechen.

ABC-Etüde

Christiane hat wieder zu den ABC-Etüden eingeladen. Die Wortspende kommt diesmal von Kain Schreiber, der den Blog  Gedankenflut betreibt. Wie immer gilt es 3 Begriffe in einen Text mit maximal 300 Wörtern zu verpacken. Die 3 Wörter lauten:

Nachtlicht – lieblich – teilen.

Und hier kommt meine Etüde:

Der November lädt dazu ein, die Straße im Dunkeln entlang zu gehen. Die Taschenlampe bleibt im Flur, denn das Nachtlicht der Straßenlaternen reicht. Es ist ein gelbliches Licht, der Mond schenkt seinen weißen Schein von oben dazu. Sanfter Abendwind lässt einzelne Blätter hochfliegen. Wenn sie ihre Hand ausstreckt, kann sie seine fühlen. Um Wärme zu teilen, reicht eine Hand. Manchmal reicht ein Blick, auch hinter den Masken, die wir nun tragen. Lass uns nicht aufhören an das Morgen zu glauben, sagt sie in die Dämmerung hinein. Eines Tages werden wir auf offener Straße Umarmungen lieben wie nie zuvor. Sie wird die ganze Welt gut finden, in dem Moment, wenn ihr Lieblingslied erklingen und sie mitten unter vielen Menschen die Arme heben wird und jede Pore in ihr diese Klänge fühlen wird. Eines Tages stehen wir nahe an Unbekannten und sprechen miteinander ohne zwei Schritte zurück zu gehen. Doch noch ist November. Kein Grund, den Kopf gesenkt zu halten, sagt sie. Sie weiß nicht, ob sie es zu ihm oder zu sich selbst sagt. Vielleicht sagt sie es all den Blättern, die dort liegen und die vom Gestern sprechen. Auch jetzt will das Leben geliebt werden. Wir können das Laub atmen, Maronen im Backofen rösten, neue Bücher lesen und wohlriechenden Tee aus Lieblingstassen trinken. Wir können das Licht dieses Monats sehen. Es ist nicht grau, es trägt rot, orange und rosa, sieh doch, sagt sie. Auch Augen können umarmen. Sie machen es sanfter und lieblicher als unsere Hände es können. Auch jetzt ist die Welt da. Die Erde ist noch immer rund. Auch jetzt will die Welt geliebt werden. Auch jetzt spricht die Natur in ihrer unübersetzbaren schönen Sprache zu uns. Lass uns hineinfühlen, was dieser Monat uns schenkt.

ABC-Etüde

Christiane hat wieder zu den abc.etüden eingeladen, wie immer gilt es 3 Begriffe in einen Text mit maximal 300 Wörtern zu verpacken. Die Worte stammen diesmal von Judith mit ihrem Blog Mutiger leben und lauten: Schmutzfink, fabelhaft, mopsen.

Hier kommt meine Etüde:

Er schlendert den Weg entlang. Sein Mantel schenkt ihm Wärme und seine Hände fühlen die Frische des Draußen. Das Geräusch des raschelnden Laubs mag er, so dass er keinen Bogen um die vom Wind angehäuften Blätterhaufen wählt, sondern mitten hinein geht. Ein kleines fabelhaftes Herbstkonzert für seine Ohren. Im Inneren applaudiert er.

Er sucht nicht den asphaltieren Weg der Straße, vielmehr laden die Wege am Rand ihn ein. Taunasses Grün zeigen die Grasbüschel. Die Blätter angemalt mit all den bunten Farben dieser Jahreszeit. Seine Schuhe sind nass und dreckig. Das macht ihm nichts. Er denkt an seine Eltern, die ihn vor vielen Jahren, als seine Füße noch in kleinen Schuhen steckten, niemals mit: „Wie siehst du denn aus?“ erschrocken begrüßten. Nie nannten sie ihn ‘Schmutzfink‘, wenn er an solchen Tagen heimkam, die Schuhe meist lehmverschmiert. Dies sei ein gutes Zeichen, pflegte seine Mutter zu sagen und sein Vater wusch die Schuhe im Keller sauber, während er in der warmen Badewanne lag. Heute macht er selbst seine Schuhe sauber. Das Naturnahe ist ihm geblieben. Gedanklich schickt er seinen Eltern ein ‘Danke‘. Er wünscht, er hätte es ihnen häufiger gesagt. Heute nehmen die Wolken seinen Dank auf. Das macht ihn nicht traurig, er fühlt sich verbunden mit dem, was war. Vielleicht ist es der Herbst, der ihm diese Zufriedenheit schenkt. Diesen Schimmer am frühen Abend gibt es nur zu dieser Zeit.

Weit entfernt sieht er das warme Licht in den Häusern. Hinter all diesen Fenstern lebt so viel Leben. Es wird geredet, geschwiegen, getröstet, gelacht und geweint. Abendbrottische werden gedeckt. Da wird eine Schwester ihrem Bruder die roteste Tomate vom Teller mopsen, wie seine Schwester es einst mit ihm machte. Da wird gebetet, dort wird aneinander vorbeigelebt. Und irgendwo wird gehofft und eine Hand der anderen gereicht, mitten in diesen Herbstabend hinein.

ABC-Etüde

Ich habe mich gerne wieder von der Schreibaufgabe einladen lassen, die Christiane mit den abc.etüden gestellt hat. Drei Wörter, diesmal von einer Wortspende von Werner www.wkastens.wordpress.com, sollen in einen Text mit maximal 300 Wörtern eingebaut werden.

Die Wörter lauten: Landvermesser, undankbar, aussetzen

Und hier kommt meine Etüde:

Er geht die Felder entlang. Es ist mehr ein Schlendern als ein Gehen. Er mag die Langsamkeit. Ihm ist, als könne sein Inneres so all das aufnehmen, was ihn umgibt. Farben, Gerüche und Ausblicke. Weit entfernt sieht er zwei Kinder spielen, sie laufen einem Ball nach. Er hört ihre hellen Stimmen. Er wünschte, es wären mehr Kinder auf den Straßen. Mehr Menschen auf Bänken vor den Häusern. Mehr Leben im Draußen und nicht stilles Leben hinter heruntergezogenen Rollläden. Er überlegt, ob er undankbar ist, wenn er solche Gedanken hegt. Er lebt gerne in diesem Land und weiß um die Vorzüge. Er hat ein Bett, einen Tisch, einen Herd. Eine Heizung, ein volles Bücherregal und eine Krankenversicherungskarte. Doch er wünscht sich mehr lachende Gesichter an den Ampeln und mehr aufschauende Menschen. Er mag sein Land, das nicht seines ist, denn wie könnte es ihm gehören. Doch er lebt hier. Sein Ausweis sagt, er gehört hierhin. Was ein Leben in einem Land ausmacht, sind nicht die Worte im Pass, sinniert er. Es ist nicht die Postleitzahl, nicht die Fläche, nicht die Anzahl der Sonnen- oder Regentage. Es ist weitaus mehr, als jeder Landvermesser in seinen Papieren aufschreiben könnte.

Er hört Wildgänse und hebt seinen Blick. Manchmal träumt er davon, er könne mit den Zugvögeln davonfliegen. Nicht lange. Ein oder zwei Tage würden reichen. Den Alltag aussetzen. Zwei Tage mit ihnen in diesen Höhen sein. Die Menschen von oben betrachten, die Felder, die Straßen, die menschengemachte Grenzen, die ballspielenden Kinder und Männer wie ihn, die dort unten gehen. Sein Blick bleibt bei den Zugvögeln, bis sie nicht mehr zu sehen sind. Ihr Rufen ist noch ein paar Sekunden länger zu hören. Jeder Zugvogel ist für ihn wie ein Versprechen an die Zukunft. Sie glauben an das Übermorgen. Vielleicht mag er sie deshalb so.

ABC-Etüde

Christiane hat in ihrem Blog wieder eine Schreibaufgabe gestellt. Drei Wörter, diesmal von einer Wortspende von kommunikatz, sollen in einen Text mit maximal 300 Wörtern eingebaut werden.

Die Wörter lauten: Pilze, traurig, schlafen.

Und hier kommt meine Etüde:

Milde Oktobersonne wärmt seine Haut. Er fühlt sich wie die gerade begonnene Jahreszeit, nicht mehr frisch, doch noch immer die ureigensten Farben verstreuend. Er trägt seine Patina, sein Gesicht spricht davon und sein Inneres. Der wievielte Herbst ist es, den er bewusst erlebt? Als Kind waren ihm die Jahreszeiten egal, sie waren einfach da, ohne dass er sie als solche wahrnahm. Er hinterfragte sie nicht. Heute nimmt er dankend an, was sie schenken. Die Walnüsse, jedes Jahr aufs Neue. Die Pilze im Wald, die er sammelt, wie seine Tante es ihn lehrte. Das Geräusch des Laubs unter seinen Füßen. Geröstete Kastanien. Zeit, die Lieblingsmütze aus dem Schrank hervorzuholen. Es ist keine Jahreszeit, um traurig zu sein. Der Herbst tröstet in einer sanften Sprache. Er ist unaufgeregter als der Sommer. Doch er weist seine Schönheit und seinen Glanz auf, nicht grell, doch wärmend und vertraut.

Das Licht am Morgen lädt zum Hinsehen ein. Am offenen Fenster reckt er sich. Dann brüht er Kaffee auf und beginnt sein Tageswerk. Mittags entzündet er ein Feuer im Ofen. Er kocht sich eine Suppe. Am Nachmittag stimmt er seine Geige und spielt für sich und seine Katze. Manchmal holt er sein Rad aus dem Schuppen und fährt zu Freunden, sitzt auf deren Eckbänken in den Küchen oder im Windschatten auf einer Terrasse. Jeden Tag liest er in einem Buch. Die Lesezeichen verschwinden. Er hat aufgehört, nach ihnen zu suchen. Es finden sich Neue. Abends nimmt er den Füllhalter und schreibt, was der Tag ihm schenkte. Meist ist es mehr als er denken würde, wenn er es nicht aufschreiben würde. Wenn er sich dann schlafen legt, ist sein Kissen ruhig. Die Geräusche des Ortes verstummen. In seinen Träumen will er niemand anderes sein. Er möchte genau das sein, was er ist, ein Mann mitten im Herbst.

ABC- Etüde

Ich habe mich von den ABC-Etüden einladen lassen.

Christiane stellt in ihrem Blog Irgendwas ist immer alle zwei Wochen eine neue Schreibaufgabe. So präsentiert sie eine Wortspende, bestehend aus drei Wörtern, die in einen Text mit maximal 300 Wörtern zu integrieren ist. Die Worte wurden diesmal von Ludwig Zeidler geschenkt und lauteten: Idee, engelhaft, vergraben.

Hier nun meine Etüde:

Die ersten Walnüsse liegen auf dem Gras. Ein Geschenk des nahenden Herbstes an den Sommer, der sich noch zeigt. Es ist Sonntag und sie hört die Ruhe. Auch Ruhe hat einen Ton. Es sind die Spätsommertage, die dazu einladen, Freude in den Tag zu legen. Auch wenn nicht alles gut ist. Wie könnte es. Das Leben malt die Welt in allen Farben an. Die Welt, die sich oft unbarmherzig zeigt. Unbarmherzig, ein Wort, das der Alltagssprache zu entschwinden scheint. Sie sucht gerne nach vergrabenen Wörtern. Bauchladen, glimmrig, Sachtmut. Bandsalat, fernmündlich, Lichtspielhaus. Ratzefummel, fläzen, Labsal. Das Leben entwächst den Wörtern. Sie möchte das Alte nicht zu schnell schließen. Es hat viel zu erzählen.
Doch auch sie geht gerne vorwärts und erfindet Neues. Auch das ist eine Leidenschaft von ihr, neue Wörter zu ersinnen. Ideen fliegen frei herum. Schlonksel, so müsste doch ein junger Mann heißen, der schlendernd geht. Lumara, das könnte der Moment sein, wenn wir die Augen schließen und dem Wind zuhören. Und könnte Halote nicht genau der Moment sein, indem wir vor einer großen Spinne davonlaufen. Sie spielt gerne mit den Worten und sagt sich, dazu sind sie da. Manchmal sind sie da, um sie in den Sand zu schreiben, damit andere sie lesen, bevor das Meer sie mitnimmt. Manchmal sind sie da, um sie in stillen Nächten in den Himmel zu werfen. Und manchmal wiegen sie uns in den Schlaf, engelhaft und sachte.
Sie hebt eine Walnuss auf. Die ersten im Jahr schmecken besonders gut. Da lohnt sich jedes Bücken. Noch brauchen die Füße im Garten keine Schuhe. Die Rosen und deren Weiß sind noch sichtbar. Auch die Hängematte zeigt noch ihren sichtbaren Platz. Nein, es ist nicht alles gut. Doch es gibt Momente, in denen wir fühlen, es könnte alles gut sein.