Findesatz und Wortspiel – 28

„Alle da?“

Der Sommerabend lädt ein, dass er eine Runde hinaus geht. Eine Runde, so nennt er das und es ist tatsächlich eine Runde. Er beginnt vor seiner Haustüre und wird in einer halben Stunde wieder hier ankommen. An seiner grünen Haustüre. Vielleicht ist er auch Dreiviertelstunde unterwegs, wenn er Nachbarn trifft oder seinen Freund, der ein paar Straßen weiter wohnt. Sein Weg führt durch die Straßen des kleinen Ortes und vorbei an Feldern. Es hat geregnet am Nachmittag, das wird den Feldern und Wiesen gut tun, denkt er. Es ist, als ob die Natur aufatmen kann.
Die Abendluft mag er sehr. Als legen sich die Gedanken des Tages mit dieser Luft zur Ruhe. Kamille und Schafgarben blühen am Feldrand. Der Geruch der Kamille dringt in seine Nase. Unmittelbar denkt er an seine Großmutter. In ihrem Haus roch es häufig nach Kamille. Sie pflückte sie, legte sie auf dem langen Esstisch aus, um sie zu trocknen und machte Tee daraus. Auch er bekam regelmäßig eine Dose mit Kamillenblüten von ihr. Beinahe kommt es ihm so vor, als ob damals die Welt gut war. Würde ihn jemand beobachten, würde dieser jemand sehen, dass er lächelt. Es ist ein leises, warmes Lächeln.
Niemand kommt ihm heute Abend entgegen. So kommt er nach einer halben Stunde wieder an seinem Haus an. Er schließt auf, lässt seine Schuhe im Hausflur stehen und geht barfuß in die Küche. Dort nimmt ein Glas Holundersaft und geht damit auf die Terrasse. Es beginnt dunkel zu werden. Er entzündet die Kerze mit dem Zitronenduft, in der Hoffnung, dass sie die Mücken fernhält.
Er setzt sich auf seinen Holzstuhl, legt die Füße auf den Stuhl gegenüber und lässt den Tag ausklingen. Mitten in dieses Ausklingen entdeckt er Glühwürmchen. Erst eines, dann ein weiteres und noch eines. Sie tanzen in seinem Garten, machen ihr Licht ein und aus. Ihr macht mich froh, wisst ihr das, flüstert er.
Letzte Woche fragte sein Freund ihn, ob er nicht traurig sei, so ganz allein in dem Haus. Ich bin nicht allein, denkt er. Glühwürmchen, Mücken, Fledermäuse, alle sind sie hier. Alle da, fragt er leise.
Er ist gerne unter Menschen. Morgen wird er Besuch von Freunden bekommen. Er ist ebenso gerne für sich. Ich bin nicht allein, hatte er seinem Freund geantwortet und von den Spinnen, Fliegen, Vögeln und Mücken erzählt. Sein Freund hatte gelacht und ihn etwas ungläubig angesehen. Doch das macht ihm nichts. Er fühlt eine beinahe unwirkliche Verbundenheit. Er weiß nicht, was morgen geschehen wird. Seine Fenster stehen offen. Doch in diesem Moment ist alles gut.

Findesatz und Wortspiel – 26

„Sonst noch was?“

Sie geht ohne Ziel. Blaues gehen, so nennt sie das. Der Ort hat genau die richtige Größe, nicht zu klein, um zu wenig zu entdecken, nicht zu groß, um verloren zu gehen. Auf den Fensterbänken der für sie fremden Menschen stehen kleine Wundertüten. Es sind nicht wirkliche Tüten, doch für sie wirkt es so. Hier eine Keramikfigur, dort ein Zwerg frei von Kitsch, da eine Kiste mit Sachen zum verschenken. Eine Buchhandlung, ein kleiner Geschenkeladen, eine Galerie. Ein Vater, der sein kleines Kind so anlächelt, dass es scheint, als könne die Welt nur gut sein. Ihre Augen finden immer wieder Blumen, deren Farbspiel wie ein Gedicht anmuten. Oftmals bleibt sie stehen und lässt sich verzücken. Verzücken ist ein Wort, das sie sich selbst nicht sagt. Doch auch ohne das Wort zu sagen, fühlt sie genau das. Ein Hund bellt weit entfernt. Selbst sein Bellen klingt geruhsam. Morgen wird sie woanders sein. Doch sie weiß, dass sie viel mitnimmt, innerlich sammelt. Stückchenweise wird es sich in ihr ausbreiten. Sie kommt an einem Café vorbei. Am geöffneten Fenster sind Bestellungen möglich. Sie bestellt einen Cappuccino mit Hafermilch. Sonst noch was, fragt der Barista freundlich. Sie verneint. Auf der Bank vor dem Café trinkt sie ihr Getränk, Lounchmusik dringt von innen hinaus. Sie fühlt sich zeitlos. Nein, sonst nichts, denkt sie, ich brauche nichts anderes. Der Cappuccino, sie auf der Bank, die leisen Töne, das reicht. Manchmal ist es eben nicht zu schön um wahr zu sein. Dann ist es schön. Und wahr.