ABC-Etüde

Ich habe mich gerne wieder von der Schreibaufgabe einladen lassen, die Christiane mit den abc.etüden gestellt hat. Drei Wörter, diesmal von einer Wortspende von Werner www.wkastens.wordpress.com, sollen in einen Text mit maximal 300 Wörtern eingebaut werden.

Die Wörter lauten: Landvermesser, undankbar, aussetzen

Und hier kommt meine Etüde:

Er geht die Felder entlang. Es ist mehr ein Schlendern als ein Gehen. Er mag die Langsamkeit. Ihm ist, als könne sein Inneres so all das aufnehmen, was ihn umgibt. Farben, Gerüche und Ausblicke. Weit entfernt sieht er zwei Kinder spielen, sie laufen einem Ball nach. Er hört ihre hellen Stimmen. Er wünschte, es wären mehr Kinder auf den Straßen. Mehr Menschen auf Bänken vor den Häusern. Mehr Leben im Draußen und nicht stilles Leben hinter heruntergezogenen Rollläden. Er überlegt, ob er undankbar ist, wenn er solche Gedanken hegt. Er lebt gerne in diesem Land und weiß um die Vorzüge. Er hat ein Bett, einen Tisch, einen Herd. Eine Heizung, ein volles Bücherregal und eine Krankenversicherungskarte. Doch er wünscht sich mehr lachende Gesichter an den Ampeln und mehr aufschauende Menschen. Er mag sein Land, das nicht seines ist, denn wie könnte es ihm gehören. Doch er lebt hier. Sein Ausweis sagt, er gehört hierhin. Was ein Leben in einem Land ausmacht, sind nicht die Worte im Pass, sinniert er. Es ist nicht die Postleitzahl, nicht die Fläche, nicht die Anzahl der Sonnen- oder Regentage. Es ist weitaus mehr, als jeder Landvermesser in seinen Papieren aufschreiben könnte.

Er hört Wildgänse und hebt seinen Blick. Manchmal träumt er davon, er könne mit den Zugvögeln davonfliegen. Nicht lange. Ein oder zwei Tage würden reichen. Den Alltag aussetzen. Zwei Tage mit ihnen in diesen Höhen sein. Die Menschen von oben betrachten, die Felder, die Straßen, die menschengemachte Grenzen, die ballspielenden Kinder und Männer wie ihn, die dort unten gehen. Sein Blick bleibt bei den Zugvögeln, bis sie nicht mehr zu sehen sind. Ihr Rufen ist noch ein paar Sekunden länger zu hören. Jeder Zugvogel ist für ihn wie ein Versprechen an die Zukunft. Sie glauben an das Übermorgen. Vielleicht mag er sie deshalb so.

ABC-Etüde

Christiane hat in ihrem Blog wieder eine Schreibaufgabe gestellt. Drei Wörter, diesmal von einer Wortspende von kommunikatz, sollen in einen Text mit maximal 300 Wörtern eingebaut werden.

Die Wörter lauten: Pilze, traurig, schlafen.

Und hier kommt meine Etüde:

Milde Oktobersonne wärmt seine Haut. Er fühlt sich wie die gerade begonnene Jahreszeit, nicht mehr frisch, doch noch immer die ureigensten Farben verstreuend. Er trägt seine Patina, sein Gesicht spricht davon und sein Inneres. Der wievielte Herbst ist es, den er bewusst erlebt? Als Kind waren ihm die Jahreszeiten egal, sie waren einfach da, ohne dass er sie als solche wahrnahm. Er hinterfragte sie nicht. Heute nimmt er dankend an, was sie schenken. Die Walnüsse, jedes Jahr aufs Neue. Die Pilze im Wald, die er sammelt, wie seine Tante es ihn lehrte. Das Geräusch des Laubs unter seinen Füßen. Geröstete Kastanien. Zeit, die Lieblingsmütze aus dem Schrank hervorzuholen. Es ist keine Jahreszeit, um traurig zu sein. Der Herbst tröstet in einer sanften Sprache. Er ist unaufgeregter als der Sommer. Doch er weist seine Schönheit und seinen Glanz auf, nicht grell, doch wärmend und vertraut.

Das Licht am Morgen lädt zum Hinsehen ein. Am offenen Fenster reckt er sich. Dann brüht er Kaffee auf und beginnt sein Tageswerk. Mittags entzündet er ein Feuer im Ofen. Er kocht sich eine Suppe. Am Nachmittag stimmt er seine Geige und spielt für sich und seine Katze. Manchmal holt er sein Rad aus dem Schuppen und fährt zu Freunden, sitzt auf deren Eckbänken in den Küchen oder im Windschatten auf einer Terrasse. Jeden Tag liest er in einem Buch. Die Lesezeichen verschwinden. Er hat aufgehört, nach ihnen zu suchen. Es finden sich Neue. Abends nimmt er den Füllhalter und schreibt, was der Tag ihm schenkte. Meist ist es mehr als er denken würde, wenn er es nicht aufschreiben würde. Wenn er sich dann schlafen legt, ist sein Kissen ruhig. Die Geräusche des Ortes verstummen. In seinen Träumen will er niemand anderes sein. Er möchte genau das sein, was er ist, ein Mann mitten im Herbst.

ABC- Etüde

Ich habe mich von den ABC-Etüden einladen lassen.

Christiane stellt in ihrem Blog Irgendwas ist immer alle zwei Wochen eine neue Schreibaufgabe. So präsentiert sie eine Wortspende, bestehend aus drei Wörtern, die in einen Text mit maximal 300 Wörtern zu integrieren ist. Die Worte wurden diesmal von Ludwig Zeidler geschenkt und lauteten: Idee, engelhaft, vergraben.

Hier nun meine Etüde:

Die ersten Walnüsse liegen auf dem Gras. Ein Geschenk des nahenden Herbstes an den Sommer, der sich noch zeigt. Es ist Sonntag und sie hört die Ruhe. Auch Ruhe hat einen Ton. Es sind die Spätsommertage, die dazu einladen, Freude in den Tag zu legen. Auch wenn nicht alles gut ist. Wie könnte es. Das Leben malt die Welt in allen Farben an. Die Welt, die sich oft unbarmherzig zeigt. Unbarmherzig, ein Wort, das der Alltagssprache zu entschwinden scheint. Sie sucht gerne nach vergrabenen Wörtern. Bauchladen, glimmrig, Sachtmut. Bandsalat, fernmündlich, Lichtspielhaus. Ratzefummel, fläzen, Labsal. Das Leben entwächst den Wörtern. Sie möchte das Alte nicht zu schnell schließen. Es hat viel zu erzählen.
Doch auch sie geht gerne vorwärts und erfindet Neues. Auch das ist eine Leidenschaft von ihr, neue Wörter zu ersinnen. Ideen fliegen frei herum. Schlonksel, so müsste doch ein junger Mann heißen, der schlendernd geht. Lumara, das könnte der Moment sein, wenn wir die Augen schließen und dem Wind zuhören. Und könnte Halote nicht genau der Moment sein, indem wir vor einer großen Spinne davonlaufen. Sie spielt gerne mit den Worten und sagt sich, dazu sind sie da. Manchmal sind sie da, um sie in den Sand zu schreiben, damit andere sie lesen, bevor das Meer sie mitnimmt. Manchmal sind sie da, um sie in stillen Nächten in den Himmel zu werfen. Und manchmal wiegen sie uns in den Schlaf, engelhaft und sachte.
Sie hebt eine Walnuss auf. Die ersten im Jahr schmecken besonders gut. Da lohnt sich jedes Bücken. Noch brauchen die Füße im Garten keine Schuhe. Die Rosen und deren Weiß sind noch sichtbar. Auch die Hängematte zeigt noch ihren sichtbaren Platz. Nein, es ist nicht alles gut. Doch es gibt Momente, in denen wir fühlen, es könnte alles gut sein.

11. August

Anstelle einer Frage teile ich heute ein kleines Gedicht.

Kastanie

Es braucht nicht viel, um die kleinen Freuden zu erleben
Heute war es eine spontane Einladung des Kastanienbaums im Garten
und sein Schatten, den er schenkte
Ausgestreckt im Gras liegen
in die Krone des Baumes blicken
und sich ein wenig wie Pippi Langstrumpf fühlen
Dazu ein vorbeifliegender Zitronenfalter
Aus der Nachbarschaft leise Kinderstimmen und das Gackern von Hühnern
In den Zweigen schenkte eine Meise ihr Spiel
hüpfte von Ast zu Ast und wetzte ihren Schnabel
Ich sage euch, wir liegen viel zu wenig ausgestreckt im Gras
und schauen Bäumen zu selten von unten zu
Es braucht nicht viel, um die kleinen Freuden zu erleben

ABC-Etüden 47/48.2019

Etüde 2019_4748_2_300

Erneut habe ich mich von den ABC-Etüden einladen lassen. Christiane stellt alle zwei Wochen drei Begriffe in ihren Blog, die in maximal 300 Wörter verpackt werden sollen. Die Worte stammen diesmal von Bernd http://www.redskiesoverparadise.wordpress.com und lauten: Unbehaustheit, schwermütig, haschen.

Hier meine Etüde dazu:

Der Herbst lädt ein, sich dem Inneren zuzuwenden. Während die Blätter bei jedem Windstoß tanzen, ruft etwas in uns danach, ruhige Schritte zu gehen. Wenn wir anhalten, spüren wir all das was um uns ist besonders klar. Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm und vorwärts, rückwärts, seitwärts, stopp. Jemand erfindet ein Lied und es klingt über Generationen hinweg.
Das Blau des Himmels trägt einen sanften Klang. Die kahler werdenden Äste sprechen von Vergänglichem. Kein Grund für Schwarz. Das Draußen zeigt es uns: Gelb, Grün, Orange und Rot in allen Schattierungen. Es ist, als habe sich der Malkasten in diese Zeit geschüttet. Manchmal geht Sattsehen nicht. Wenn wir nachts die Augen schließen, öffnen wir sie am nächsten Morgen, um die Farbpalette zu sehen, die sich gewandelt hat, kaum merklich.
Ein heruntergefallener Ast liegt schwermütig auf dem feuchten Gras im Park. Es braucht nur ein vorbeigehendes Kind, das ihn aufhebt und als Stock benutzt. Als Spazierstock, Pferd, Blätterdurchwirbler, alles ist möglich und die Fantasie ist frei.
Pilze und Flechten zeichnen Muster auf Äste. Die Welt lädt zum Hinsehen ein. Staunen ist alterslos. An den Jahreszeiten vorbeileben scheint unmöglich. Wir haben Hand, Fuß, Kopf, Bauch und Sinne, die vor allem.
Wiederkehrende Gefühle tauchen in dieser Zeit auf. Das Denken an Menschen, die in Unbehaustheit leben, hier oder anderswo, unsere Welt ist groß. Währenddessen ziehen wir die Mützen tiefer und wissen, dass wir gleich von der Wärme eines Zimmers empfangen werden. Von der eigenen Wärme abgeben, auch hier ist die Fantasie frei.
Der Herbst mag die Stille. Ein Vogelruf erinnert uns an den Sommer. Wir schauen hoch, als wollten wir mit ihm noch einmal das Gefühl des Sommers erhaschen. In jedem Herbst liegt der zurückliegende Sommer. Ohne Winter kein Frühling. Es ist einfach. Die Jahreszeiten reichen sich die Hand. Keine lebt für sich allein.

abc-Etüden 45/46.2019

Etüden Nov

Ich habe mich von den ABC-Etüden einladen lassen. Christiane stellt alle zwei Wochen drei Begriffe in ihren Blog, die in maximal 300 Wörter verpackt werden sollen. Die Worte stammen diesmal von Anna-Lena https://visitenkartemyblog.wordpress.com und lauten: Himmelsleuchten, recycelbar, ausreisen.

Hier kommt meine Etüde:

Sie geht die Straße entlang. Die kühle Novemberluft malt ihre Wangen rosig. Sie mag das Geräusch des Laubs unter ihren Füßen. Das Zersplittern der Blätter und die sanfte Schönheit des Vergänglichen. Fast ist es, als lösen sich die Blätter auf. Was eine wunderbar recycelbare Natur, denkt sie. Hier lernen wir, wie Leben geht. Wie Leben nicht stillsteht und doch das Leise liebt. Im aufsteigenden Nebel des Morgens spürt sie, wie nah sich Himmel und Erde sind. Die Luft füllt ihre Lungen mit Erwachen. Es ist, als atme sie die Herbstfarben mit ein. Kleine Streifen zeigen sich am Horizont. Der Himmel tuscht sich rötlich und verändert seine Formen. Das Christkind backt, sagten ihre Tanten früher zu ihr, wenn sich dieses Himmelsleuchten zeigte. Auch sie sagte diesen Satz zu ihren Kindern. Sie trägt den Satz noch heute in sich. Es gibt Sätze, die wohnen in uns. Eingepflanzt von Menschen die uns umgeben, nisten sich ein und leben mit uns. Es gibt Sätze, die sind leicht und tragen viel Gewicht. Ein Gewicht, mit dem wir gut durchs Leben tanzen können. Sie heben uns auf, wenn wir stolpern, greifen uns unter die Arme und heben den Blick. Ihr Atmen wirft Wölkchen. In ihrer Manteltasche fühlt sie die Glätte einer aufgehobenen Rosskastanie. Lange wird sie diese Kastanie mit sich tragen, das ahnt sie. Sie wird sie fühlen wenn sie auf den Bus wartet, an einer Kasse ansteht oder wie nun spazieren geht. Sie mag ihre Mütze und die Wärme des Schals. Eine Hängematte am Strand wäre eine Alternative, versprach ihr ein Zettel im Briefkasten. Dem Alltag entfliehen. Der wiederkehrenden Kühle des Novembers. Blaues Wasser, weißer endlos scheinender Strand. Das alles auf Hochglanz. Nein, sie möchte nicht ausreisen. Sie möchte genau dort sein, wo sie nun ist, mit genau dem Knirschen unter ihren Füßen.

24. Dezember

Stern B

Inmitten all der Lichter
das Zarte
die Stille
Innehalten
Vom Kleinen
ging es aus
Von dort aus
lässt es sich finden
fühlen
atmen
das Helle
diese ganze Fülle

Allen Leser/innen wünsche ich von Herzen ein frohes Weihnachtsfest mit wohltuendem Zusammensein, Zeit zum Innehalten und vielen hellen Momenten.

17. Dezember

Tanz Sc.

Zeit

Dieses seltsame Konstrukt
das wir Menschen erfunden haben
Oder war es längst vor uns da
ohne einen Namen zu tragen
Versteckt im Blau des Himmels und im Grün der Blätter
Manchmal bewohnt uns das Gefühl, sie rast
fährt Karussell
Wir laufen hinterher
Und sie lacht
lässt sich nicht einfangen
Ist sie doch ein Kind der Freiheit
und liebt das Spiel der Wolken
Manchmal meinen wir, sie bleibe stehen
in der Stille der Nacht
des Augenblicks
oder inmitten einer Berührung
Dann atmet sie mit uns im Gleichklang
flüstert uns Geheimnisse zu
Sie freut sich am Du
Einander Zeit schenken
vielleicht das kostbarste Geschenk des Lebens
Der Zeit Flügel malen
mit all den Stiften die wir finden
Sie ausfüllen, sinnvoll gestalten, verstreichen lassen und jeden Unsinn lieben
Die Zeit huckepack nehmen
und einfach nicht an sie denken
An jedem Tag ein neuer Morgen
ohne das Alte aufzugeben
Alle Jahreszeiten in sich tragen
und das Alter lieben, das wir gerade haben
Im Zeitfluss gehen
Den Moment küssen
Wind im Haar spüren
Zeit, die bleibt
Und dann eine Tanzfläche
nur für dich
Zeitvergessen schön
Die innere Tanzfläche
durch das Leben tragen

10. Dezember

Foto Bauklötze

auch beim Warten erleben wir
durch die geschlossenen Fensterscheiben
gedämpfte Geräusche
beinahe still
vier Stühle besetzt
acht Stühle leer
draußen kaufen Menschen Weihnachtsgeschenke
oder trauern um einen geliebten Menschen
erzählen beim Glühwein neue Geschichten
oder räumen die Anrichte ab
Hausaufgaben wandern in Schultaschen
Tee wird zubereitet
hier warten Jacken auf ihre Besitzer
Kinderaugen schauen Fremde an
erwartungsvoll
neugierig auf das Leben
ein Lächeln ist eine Antwort
Türen öffnen und schließen
Veränderungen beleben
eine Frau zieht ihre Mütze ab
schwarzes langes Haar fällt auf ihren Rücken
Hände stapeln einen Turm
hoch hinaus
vielleicht macht gerade das Umfallen es gut
neu beginnen
immer wieder
beim Warten
spiegelt sich
die Welt