Findesatz und Wortspiel – 44

„Über den eigenen Tellerrand sehen.“

Wenn wir
über den eigenen Tellerrand hinaussehen
ahnen wir etwas
von der Weite der Welt
der Tiefe
der Höhe
Wir fühlen wie klein
unser eigenes Leben ist
von dem wir allzu oft meinen
es sei der Mittelpunkt der Welt
Wir weben uns ein
in die Verbundenheit
mit allem was gleichzeitig lebt
und rücken
alles ein bisschen mehr gerade

Findesatz und Wortspiel – 28

„Alle da?“

Der Sommerabend lädt ein, dass er eine Runde hinaus geht. Eine Runde, so nennt er das und es ist tatsächlich eine Runde. Er beginnt vor seiner Haustüre und wird in einer halben Stunde wieder hier ankommen. An seiner grünen Haustüre. Vielleicht ist er auch Dreiviertelstunde unterwegs, wenn er Nachbarn trifft oder seinen Freund, der ein paar Straßen weiter wohnt. Sein Weg führt durch die Straßen des kleinen Ortes und vorbei an Feldern. Es hat geregnet am Nachmittag, das wird den Feldern und Wiesen gut tun, denkt er. Es ist, als ob die Natur aufatmen kann.
Die Abendluft mag er sehr. Als legen sich die Gedanken des Tages mit dieser Luft zur Ruhe. Kamille und Schafgarben blühen am Feldrand. Der Geruch der Kamille dringt in seine Nase. Unmittelbar denkt er an seine Großmutter. In ihrem Haus roch es häufig nach Kamille. Sie pflückte sie, legte sie auf dem langen Esstisch aus, um sie zu trocknen und machte Tee daraus. Auch er bekam regelmäßig eine Dose mit Kamillenblüten von ihr. Beinahe kommt es ihm so vor, als ob damals die Welt gut war. Würde ihn jemand beobachten, würde dieser jemand sehen, dass er lächelt. Es ist ein leises, warmes Lächeln.
Niemand kommt ihm heute Abend entgegen. So kommt er nach einer halben Stunde wieder an seinem Haus an. Er schließt auf, lässt seine Schuhe im Hausflur stehen und geht barfuß in die Küche. Dort nimmt ein Glas Holundersaft und geht damit auf die Terrasse. Es beginnt dunkel zu werden. Er entzündet die Kerze mit dem Zitronenduft, in der Hoffnung, dass sie die Mücken fernhält.
Er setzt sich auf seinen Holzstuhl, legt die Füße auf den Stuhl gegenüber und lässt den Tag ausklingen. Mitten in dieses Ausklingen entdeckt er Glühwürmchen. Erst eines, dann ein weiteres und noch eines. Sie tanzen in seinem Garten, machen ihr Licht ein und aus. Ihr macht mich froh, wisst ihr das, flüstert er.
Letzte Woche fragte sein Freund ihn, ob er nicht traurig sei, so ganz allein in dem Haus. Ich bin nicht allein, denkt er. Glühwürmchen, Mücken, Fledermäuse, alle sind sie hier. Alle da, fragt er leise.
Er ist gerne unter Menschen. Morgen wird er Besuch von Freunden bekommen. Er ist ebenso gerne für sich. Ich bin nicht allein, hatte er seinem Freund geantwortet und von den Spinnen, Fliegen, Vögeln und Mücken erzählt. Sein Freund hatte gelacht und ihn etwas ungläubig angesehen. Doch das macht ihm nichts. Er fühlt eine beinahe unwirkliche Verbundenheit. Er weiß nicht, was morgen geschehen wird. Seine Fenster stehen offen. Doch in diesem Moment ist alles gut.

Findesatz-Gedicht 90

Lasst eure Sinne tanzen

wahrnehmen, was um uns lebt

das blühend Bunte fühlen

die versteckten leisen Geschenke

das traurig Gefärbte

das gerade vorhanden ist

jetzt wie zu allen Zeiten

Tanzende Sinne

lassen uns mitfühlen

Hände und Worte reichen

und erkennen

das Leben lebt sich nur verbunden