„In der Natur ist nichts ganz geradlinig.“

Leg die Wange an das Krumme
In der Natur ist nichts geradlinig
Summe mit den Umwegen
Das Licht küsst den Schatten

Leg die Wange an das Krumme
In der Natur ist nichts geradlinig
Summe mit den Umwegen
Das Licht küsst den Schatten




Friedensräume hieß das Museum, das sie betrat und etwas in ihr auslöste. Wir sind immer Andere beim Hinausgehen als beim Eintreten. Sie las die Worte einer geflüchteten Frau. Wenig später tönten an anderer Stelle aus einem Lautsprecher Stimmen, flüsternde, tuschelnde Laute. Sie fühlte, wie es ist, eine Außenseiterin zu sein. Nicht innen zu stehen. Abseits aufgrund der Hautfarbe, der Sprache, der Herkunft. Sie dachte an Kinder, die beschimpft werden, mitten auf Schulhöfen. Noch später nahmen ihre Ohren Imagine auf, gesungen in vielen Sprachen. Wer ist Freund, wer Feind? Kann sie den Nächsten lieben wie sich selbst? Setzt sie sich mit ihren Vorurteilen auseinander? Denkt sie von sich selbst, sie sei ein guter Mensch? Viele Fragen, deren Antworten gewebt werden. Beim Hinausgehen gab die im Museum tätige Frau Worte mit: Den Gedanken Frieden hinaustragen. Später setzte sie sich auf eine Bank. Sie blickte auf den See, der im Abendlicht glitzerte. Sie fand es unerträglich absurd, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Ich lebe auf der Sonnenseite, sagte sie. Ohne dass ich etwas dafür tun musste. Grund genug, etwas zu tun.




Seine Füße tragen ihn. Was er am Gehen mag, ist, dass seine Gedanken mühelos mitwandern. Als fließen sie leicht mit der Landschaft dahin. Die unbeantworteten Fragen in seinem Leben kann er in solchen Stunden annehmen. Er lässt die Fragezeichen zu. Eine Katze kommt ihm entgegen. Na, du, sagt er. Sie bleibt stehen und hält ihre Nase nach oben. Du genießt das auch, fragt er lächelnd. Er atmet tief ein. Ah, die Luft hier! Ein Geschenk pur, was. Es wirkt, als nicke die Katze. Vielleicht ist es wirklich so, dass auch die Katzen, Hummeln und Käfer diese Wohltat spüren, denkt er. Lass uns die Welt etwas schöner schnurren, sagt er zu der Katze, Ungutes gibt es genug. Wir sollten mehr lassen, einfach sein. Weniger im Plan leben. Die Katze ändert ihre Richtung und läuft weiter. Er blickt ihr nach. Während sie kleiner wird, erinnert er sich daran, dass er vor ein paar Tagen in einem Kloster war. Als gläubigen Menschen würde er sich nicht bezeichnen, doch er liebt die Atmosphäre in alten Klöstern. Er setzte sich in einen Raum der Stille. Kerzen gingen an, zunehmend mehr, begleitet von einem sanften klirrenden Klang. Sie brannten nicht wirklich, sie waren elektronisch gesteuert. Sie gingen an, wurden weniger, um dann wieder mehr zu werden. Nie ging das Licht ganz aus. Wenigstens drei Kerzen blieben an. Das berührte ihn tief, er spürt das Gefühl nun noch. Er fand, darin lag ein ganzes Leben. Ihm ist, als gehöre all das zusammen, die Kerzen im Kloster, die Luft hier, die Berge, die sich ihm zeigen, diese Katze. Als sei alles am richtigen Platz. Auch er.




Der Sommerabend lädt ein, dass er eine Runde hinaus geht. Eine Runde, so nennt er das und es ist tatsächlich eine Runde. Er beginnt vor seiner Haustüre und wird in einer halben Stunde wieder hier ankommen. An seiner grünen Haustüre. Vielleicht ist er auch Dreiviertelstunde unterwegs, wenn er Nachbarn trifft oder seinen Freund, der ein paar Straßen weiter wohnt. Sein Weg führt durch die Straßen des kleinen Ortes und vorbei an Feldern. Es hat geregnet am Nachmittag, das wird den Feldern und Wiesen gut tun, denkt er. Es ist, als ob die Natur aufatmen kann.
Die Abendluft mag er sehr. Als legen sich die Gedanken des Tages mit dieser Luft zur Ruhe. Kamille und Schafgarben blühen am Feldrand. Der Geruch der Kamille dringt in seine Nase. Unmittelbar denkt er an seine Großmutter. In ihrem Haus roch es häufig nach Kamille. Sie pflückte sie, legte sie auf dem langen Esstisch aus, um sie zu trocknen und machte Tee daraus. Auch er bekam regelmäßig eine Dose mit Kamillenblüten von ihr. Beinahe kommt es ihm so vor, als ob damals die Welt gut war. Würde ihn jemand beobachten, würde dieser jemand sehen, dass er lächelt. Es ist ein leises, warmes Lächeln.
Niemand kommt ihm heute Abend entgegen. So kommt er nach einer halben Stunde wieder an seinem Haus an. Er schließt auf, lässt seine Schuhe im Hausflur stehen und geht barfuß in die Küche. Dort nimmt ein Glas Holundersaft und geht damit auf die Terrasse. Es beginnt dunkel zu werden. Er entzündet die Kerze mit dem Zitronenduft, in der Hoffnung, dass sie die Mücken fernhält.
Er setzt sich auf seinen Holzstuhl, legt die Füße auf den Stuhl gegenüber und lässt den Tag ausklingen. Mitten in dieses Ausklingen entdeckt er Glühwürmchen. Erst eines, dann ein weiteres und noch eines. Sie tanzen in seinem Garten, machen ihr Licht ein und aus. Ihr macht mich froh, wisst ihr das, flüstert er.
Letzte Woche fragte sein Freund ihn, ob er nicht traurig sei, so ganz allein in dem Haus. Ich bin nicht allein, denkt er. Glühwürmchen, Mücken, Fledermäuse, alle sind sie hier. Alle da, fragt er leise.
Er ist gerne unter Menschen. Morgen wird er Besuch von Freunden bekommen. Er ist ebenso gerne für sich. Ich bin nicht allein, hatte er seinem Freund geantwortet und von den Spinnen, Fliegen, Vögeln und Mücken erzählt. Sein Freund hatte gelacht und ihn etwas ungläubig angesehen. Doch das macht ihm nichts. Er fühlt eine beinahe unwirkliche Verbundenheit. Er weiß nicht, was morgen geschehen wird. Seine Fenster stehen offen. Doch in diesem Moment ist alles gut.




Jetzt sind wir fertig
Die kleinen Abschnitte feiern
Mit Eis und Apfelkuchen
Die Hände ruhen
Gedanken summen
Es gibt nichts zu tun
für den Moment
Dasein reicht