Gastbeitrag

Gastbeitrag „Ein Sonntag auf der Frankfurter Buchmesse 2023“

Als Ehemann einer sehr engagierten Bloggerin und regelmäßigen Besucherin der Frankfurter Buchmesse habe ich so meine Privilegien. Da wäre zum einen, dass ich bereits im Vorfeld der Messe in die inhaltlichen Vorbereitungen miteinbezogen werde und sich mir damit ein erster schmaler Spalt des Fensters zur aktuellen Buch- und AutorInnenenwelt in Deutschland und des gesamten Erdballs öffnet. Zum anderen aber auch, dass für mich ab und an ein paar Krümel der Privilegien abfallen, die meine Gemahlin dank ihres Presseausweises auf der Buchmesse genießen kann. Doch dazu später mehr.

Der Tag startete für mich mit einem kurzen Gang durch die Halle 3, in der alles, was in der Verlagswelt Rang und Namen hat, vertreten ist. Dort begegneten mir einige Buchtitel, die ich euch nicht vorenthalten möchte. „Hilfe, ich habe geerbt“ der Stiftung Warentest weckte in mir die Vorstellung einer adrenalindurchfluteten Person mit Schweiß auf der Stirn, die mit der Sorge eines Erbes konfrontiert wird und Heil in der Fibel der deutschlandweit bekannten Stiftung sucht.

Die Technik zur Kompensation der Effekte der Klimakatastrophe hält auch in der Botanik Einzug. So überraschte mich der Bestseller „Echte Hitzeprofis“ von Katrin Lugerbauer. Ihr Buch ist eine Hommage an alle trockenheitslieben Stauden, die sie dem Leser eindringlich näherbringt. Dank dieser Pflanzen scheinen die Effekte des sich verändernden Klimas kein Problem. Fantastisch?!

Zur Ergänzung unnützen Halbwissens gleich nebenan das Buch „Efeu erwürgt Baum“, in dem Aino Adriaens mit den Mythen aus dem Garten aufräumt. Ein Muss für alle FreizeitgärtnerInnen.

Und zum Abschluss meines kurzen Buchtitelscans der gerade erschienene Band des sehr populären jugendlichen Imkers, Bloggers und Influencers Quentin Kupfer, der mit seinen mehr als 1 Millionen FollowerInnen eine junge Fangemeinde für das Imkern begeistert. Ein schön gemachtes reich bebildertes Fachbuch, das die next generation der ImkerInnen anspricht und der typischen Generation der meist männlichen Imker Ü65 das Fürchten lehrt.

„Der wache Vogel fängt den Wurm“, so der Titel des Buches, der für mich ersten Buchvorstellung des Tages. Die im Vortragen geübten Kathrin Leineweber und Markus Kamps brachten den ZuschauerInnen das Thema Schlaf näher und gaben Tipps (man nennt das wohl heute neudeutsch „Hacks“), um gut zu schlafen und ausgeruht zu sein und um damit seinem Arbeitgeber, seiner Arbeitgeberin und der Welt effizient zur Verfügung stehen zu können. 7,5 Stunden Schlaf als Muss für ein gesundes Leben, gut geplant und sauber ein- und ausgeleitet als Schlüssel zum Wohlbefinden. Ich war begeistert und wollte sofort loslegen. Dabei hatte der Tag gerade erst angefangen.

Weiter gings auf der ARD ZDF 3Sat- Bühne, auf der sich im Kulturzeit- Talk – bekannt bei 3Sat ZuschauerInnen – der Soziologe Steffen Mau mit seinem Werk „Triggerpunkte“, Politikwissenschaftlerin Sophie Pornschlegel (2. von rechts) mit „Am Ende der gewohnten Ordnung“ und Politikwissenschaftlerin Florence Gaub (links) mit „Zukunft“ tummelten, moderiert von Nina Brunner. Die AutorInnen unterhielten sich eindringlich über das Verständnis von Macht in der Politik, Gendersprache und darüber, den Menschen die Angst vor der Zukunft zu nehmen. Für den ungeschulten Zuschauer wie mich eine intellektuelle Herausforderung.

„Modern heartbreak“, so der Titel des Buches von Laura Berling (links), hier im Gespräch mit Salwa Houmsi vom Kulturmagazin „Aspekte“ des ZDF, in das ich zufällig gestrandet war. Berling berichtete über romantische Liebe im Spannungsfeld von Sehnsucht, Geschlechterklischees und Online Dating. Und mit dem von ihr durchlebten Liebeskummer hielt sie auch nicht hinter dem Berg. Kurzweilig und ein Kontrastprogramm zu dem, was nun folgen sollte.

Auf dem Weg zur nächsten Veranstaltung kam ich an der großen Bühne draußen im Innenhof, der Agora, vorbei und hörte ein mir aus der Jugend bekanntes Kichern, Jodeln und Scherzeln. Und siehe da: Otto wurde aus der Versenkung wieder rekrutiert. Er erlebt zurzeit eine Renaissance dank seines Liedes Friesenjung, das die Künstler Joost und Ski Aggu neu ab- und aufgemischt haben. Das gab er dann auch zum Besten. Ich konnte von der Seitenlinie einen kurzen Blick auf Otto erhaschen, der sich zu meinem Erstaunen recht gut gehalten hat.
(PS: Am Abend konfrontierte ich unsere Tochter mit Ottos altbekanntem Sketch von der Milz, die mit der Leber im menschlichen Körper kommuniziert. „Lustig“ war ihr Kommentar).

Liebe LeserInnen, sagt euch die Abkürzung „DCM“ etwas? DCM steht für Deutsche Cosplaymeisterschaft, die während der Buchmesse in Frankfurt ausgetragen wurde. Nun, was ist denn um Himmels willen ein Cosplayer? Zitat Wikipedia: „Cosplay (japanisch コスプレ, kosupure) ist eine in Japan geprägte Fanpraxis, die in den 1990er Jahren mit dem Manga- und Animeboom auch in die USA und nach Europa kam. Beim Cosplay stellt der Teilnehmer eine Figur aus einem Manga, Anime, Film, Videospiel oder anderen Medien durch ein Kostüm und Verhalten möglichst originalgetreu dar.“ Wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, und ich ließ mich bereitwillig von unserer Tochter, die zumindest eine vage Vorstellung davon hatte, was uns erwartete, in die Veranstaltungslokation geleiten. Der Halle, in der am Vorabend noch Salman Rushdie sein neues Buch präsentierte, und die nun von unzähligen verkleideten Menschen zur Partybude mutiert war.
Wir haben uns dann drei der 15 Menschen der Endausscheidung angesehen, die in beeindruckender Weise Szenen aus mir unbekannten Anime- Filmen nachgespielt haben. Leider mussten wir dann den Saal verlassen, da wir uns Veranstaltungen von einem ganz anderen Kaliber ausgesucht hatten.

Nahid Fallahi-Keshavarz las am Stand von Amnesty International aus ihrem Buch „Flüchtlingscafe“. Moderiert von Houman Amjadi von Amnesty berichtete sie von ihrer langjährigen Tätigkeit in der Flüchtlingshilfe in Köln und schilderte eindringlich ihre Erfahrungen von der Konfrontation und Versöhnung unterschiedlicher Kulturen und Religionen in schwierigen Lebenssituationen. Beeindruckend. Ich blieb dann noch eine Weile am Stand, unterschrieb Briefe an diverse Regierungschefs und AußenministerInnen von Ländern, in denen Menschen zu Unrecht im Gefängnis sitzen. Eine wichtige Arbeit, die ich seit vielen Jahren verfolge und die durch Beharrlichkeit und Kompetenz vielfach zum Erfolg geführt hat.

In der Nähe dann eine Anti-Apartheid-Bank, die Norbert Biba geschaffen hat. Hintergrund war eine Volksabstimmung in der Schweiz im Jahre 2013, bei der es um ein restriktiveres Asylgesetz ging. Mehr Info dazu unter www.diebank.info

Die Themen Antisemitismus, Judenverfolgung und Konzentrationslager interessieren mich bereits seit vielen Jahren. So ging ich dann zum Gespräch des Verlegers Arne Houben mit der niederländischen Historikerin Aline Pennewaard, die sich in ihrem Werk „Kapo in Auschwitz“ mit der Biografie des jüdischen Schneiders Heinrich Bontscheck beschäftigt hat. Sie stellte eindrücklich dar, wie sich ein sehr friedlicher freundlicher Mensch in einem KZ unter den gegebenen unvorstellbaren Umständen völlig verwandeln kann. Menschen haben ihn nach 1945 in Australien wiedererkannt. Sie berichteten einerseits, dass er unmenschlich gehandelt habe, und andererseits sehr viele Menschenleben gerettet habe. Ein interessantes historisches Zeugnis.

Im Anschluss entspannte ich mich bei einem Gespräch zwischen der bereits oben erwähnten Salwa Houmsi mit dem bekannten Schauspieler und Harry-Potter-Hörbuchsprecher Rufus Beck. Beck las selbst nicht, berichtete aber von den Anfangsjahren und dem ersten Band, den er eingesprochen hatte. Marion hat bereits ihre Erfahrungen mit Beck geschildert. Interessant wurde es, als Houmsi am Ende des Interviews Beck auf die kritischen Äußerungen der Harry-Potter-Schöpferin J.K. Rowling bezüglich Transmenschen ansprach. Beck meinte dazu, dass er die Harry-Potter-Bücher vollständig von der Person Rowling trennen würde und im Übrigen zum Gespräch über Harry und die Bücher hier sei. Er verließ dann auch schnell die Bühne, ohne sich noch einmal von der Moderatorin zu verabschieden. Tja, auf dem falschen Fuß erwischt.

Mittlerweile war es bereits 15 Uhr und ich hatte Hunger. Dann also mal schnell ins Pressezentrum, das ich natürlich nicht betreten durfte. Aber eine kurze Nachricht an Marion, und sie brachte mir einen Apfel und einen Kaffee, Verpflegung, die eigentlich nur für Pressemenschen zur Verfügung gestellt wurde. Hat gut geschmeckt.

Nochmal eilte ich zur ARD- Bühne und kam in den Genuss des 5. Teils der Sheroes- Interviewreihe mit der Moderatorin Jagoda Marinic (Marion berichtete). Spannend und eindrücklich. Hier ein Foto aus meiner Perspektive:

Dann ging es für mich schnell zur Verkündigung des Jugendwortes 2023 auf dem Stand von Langenscheidt/Pons. Auf der Longlist standen 10 Worte/Begriffe, die in einem flotten Film präsentiert wurden. Die interessantesten will ich euch nicht vorenthalten:

Einer meiner Favoriten: Auf Lock = auf locker; die Dinge entspannt angehen.
Beispielsatz: Ich gehe mit ein paar Freunden raus auf lock!

Darf er so = Darf er das einfach so sagen? Ausdruck der Verwunderung, wenn etwas Provokantes gesagt oder getan wurde.
Beispielsatz: er hat sich einfach neben mich gesetzt – darf er so?

Rizz = Charisma; Fähigkeit einer Person zu flirten und verbal charmant zu sein.
Beispielsatz: Der hat mächtig Rizz.

Slay = Ausdruck der Zustimmung und Bewunderung
Beispielsatz: Dein Outfit sieht gut aus – slay!

Side Eye = skeptischer Blick, wenn man einer Person oder einer Situation kritisch gegenübersteht.
Beispielsatz: Bombastic Side Eye!

Der Sieger:
Goofy = tollpatschige, alberne Person oder Verhaltensweise, die andere amüsiert.
Beispielsatz: Er ist richtig Goofy.
(Ihr erinnert euch vielleicht, Goofy ist der lustige schusselige Hund aus der Donald Duck Reihe).

Präsentiert wurde der Sieger von dem Poetry Slammer Sebastian23 (auf dem Foto in der Mitte mit dem bunten Pulli), der alle Begriffe in einem tollen Slam von 2:30 Min zusammengefasst hat und mit dem Siegerwort endete. Eine großartige Performance. Das anschließende Gespräch mit SprachwissenschaftlerInnen und SprachhistorikerInnen war dann ein wenig ermüdend.

Und so zog ich weiter zum Stand der Bundesregierung, wo sich unsere Claudia Roth, ihres Zeichens Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, unter der Leitung des Moderators Florian Prokop mit der Schriftstellerin und Journalistin Valentina Vapaux unterhielt. Es ging um die Generation Z. Leider habe ich nur noch die letzten 5 Minuten des Gesprächs mitbekommen. Darin schilderte Vapaux (22), dass sie eine Gruppe Freundinnen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren habe und sie mit denen generationsübergreifend unterschiedlichste Themen bespreche. Nur eine Person um die 70 Jahre fehle ihr noch. Roth (68) bot sich als Gruppenmitglied an und wurde von Vapaux dankbar aufgenommen. Eine schöne Geste wie ich finde.

Und mit wem fand ich mich dann auf der Rolltreppe wieder? Seht selbst:

Ein schöner letzter Buchmessentag ging für mich und uns zu Ende. Marion und ich krönten den Tag mit einer landestypischen Leckerei im Slowenien-Pavillon. Voller anregender Gespräche erlebten wir gemeinsam mit unserer Tochter eine sehr kurzweilige Rückfahrt, auf der wir viele Gedanken und Erlebnisse teilten. Die Buchmesse ist für mich immer wieder ein intellektueller boost, der mich für die nächsten Wochen mit geistiger Nahrung versorgt und die Lust zum Lesen verstärkt. Das Buch von Tonio Schachinger „Echtzeitalter“ ist bereits zur Hälfte gelesen.
Meine KollegInnen in den Niederlanden beneideten mich gestern um diese Erfahrung mit den Worten: Sowas haben wir hier in Holland nicht. Wollen wir auch.
Tja, ich würde sagen: Deutsch lernen und hinfahren.

Und wie immer gilt: Nach der Buchmesse ist vor der Buchmesse.

Es grüßt euch der Gastschreiber
Jens

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