
Nach der gestrigen Eröffnung war heute der 1. Tag der Frankfurter Buchmesse, der für das Fachpublikum geöffnet ist. Ab Freitag 14 Uhr ist die Buchmesse für Privatbesucher*innen geöffnet.
75 Stühle, die Montag in der Stadt Frankfurt aufgebaut waren, sind nun hier auf dem Innenhof, der Agora, zu finden. Hier können die Besucher*innen Platz nehmen und erfahren per QR-Code von persönlichen Geschichten von ganz unterschiedlichen Menschen und ihrer Verbindung mit der Frankfurter Buchmesse. Unter den Erzähler*innen befinden sich bekannte Namen ebenso wie unbekannte Namen von Besucher*innen und internationale Buchmesse-Freund*innen, und ebenso Namen von Menschen, die hinter den Kulissen für die Buchmesse aktiv sind. Gerne habe ich Platz genommen und viele Geschichten gelesen.

Auf der ARD ZDF 3SAT Bühne wurde Doris Knecht von Alexander Solloch zu ihrem Buch „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ interviewt. Ihr Roman ist die Selbstbefragung einer Frau, die an einem Wendepunkt in ihrem Leben steht. Das Buch stellt die Frage, wie ist es, wenn das Leben noch einmal anfängt. Einer ihrer Sätze während des Gesprächs: „Ich wollte unbedingt ein positives Buch schreiben mit einem versöhnlichen Ton und das hat sehr auf mich gewirkt.“
Meine Buch-Wunschliste wächst…

Als Findesatz-Sammlerin sammle ich nicht nur Sätze von Autorinnen und Autoren, sondern auch Sätze von Menschen, die ich im Vorbeigehen hören. So sagte eine Frau zu ihrer Freundin: „Wir können gerade mal nach Slowenien gehen.“ Wunderbar, dank des Gastlandes Slowenien ist das möglich, auf der Buchmesse mal eben nach Slowenien zu gehen.
Als nächstes erlebte ich Philipp Oehmke im Gespräch mit der Moderatorin Anja Brockert zu seinem Buch „Schönwald“. Der Roman erzählt eine Familiengeschichte über zwei Generationen. Als die Tochter der Familie einen queeren Buchladen eröffnet, reist ihre Familie an und es kommen verdrängte Konflikte an die Oberfläche. Der Großvater der Tochter war früher bei der Wehrmacht. Nun kritisieren Aktivistinnen, dass die Frau den progressiven Buchladen aufgemacht habe, der auf Nazigeld aufbaue. „In dem Buch geht es um Wahrheit und Lüge und um die ganzen Abstufungen die es dazu gibt“, so die Moderatorin. Philipp Oehmke sagte, er mag das Genre Familiengeschichte, „da lässt sich im Kleinen erkennen, was in der Gesellschaft vorherrscht.“
Er las einen Ausschnitt aus seinem Buch vor.

Als Nächstes erlebte ich den frischgekürten Buchpreisträger Tonio Schachinger, der mit Cécile Schortmann über sein Buch „Echtzeitalter“ sprach. Der Protagonist in „Echtzeitalter“ ist Till, der ein elitäres, österreichisches Internat besucht. Er fühlt sich nicht wohl inmitten des snobistischen Umfelds und möchte lieber Profi-Gamer werden. Nach dem Tod seines Vaters findet er Zuflucht im Spiel „Age of Empires“ und gehört bald zu den weltweit besten Spielern. Doch das zählt nicht in der Welt der Erwachsenen. Da ich dieses Buch bereits habe, steht es nicht auf meiner Wunschliste, ansonsten würde es darauf stehen. Tonio Schachinger las eine Stelle aus dem Buch vor.
Im Gespräch erzählte er weiterhin, dass er einen handgeschriebenen Brief von einer 89-jährigen Frau erhalten habe, deren Enkel auf das Gymnasium gehe, das in dem Buch unter einem anderen Namen auftaucht. „Selten lösen Bücher so viel aus“, schrieb sie in ihrem Brief. Tonio Schachinger meinte, diese Aussage sei nicht so relevant wie der erhaltene Buchmessenpreis – auf die Verkaufszahlen bezogen – , dennoch sei diese Aussage für ihn relevant.
Cécile Schortmann sagte am Ende des Gesprächs zu seinem Buch, der ein großer Gesellschaftsroman sei: „Lesen Sie dieses Buch, es ist witzig, es ist rasant und es nimmt uns mit in die Welt des Gamings.“

Sina Scherzant wurde von Mona Ameziane zu ihrem Buch mit dem schönen Titel „Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne“ interviewt. In ihrem Debütroman schreibt Sina Scherzant darüber, wie es ist, wenn man aufhört, sich immer nach anderen zu richten. Es geht um die Geschichte einer jungen Frau, die den Mut findet, für sich einzustehen. Sina Scherzant ist Einigen vielleicht bekannt über ihren erfolgreichen Instagram Account alman_memes2.0, den sie gemeinsam mit ihrem Freund betreibt.

Das Thema Ukraine und der russische Angriffskrieg ist auf der Buchmesse präsent. Auch bei dieser bewegenden und schönen Ausstellung auf dem Innenhof:


Zum Messejubiläum hat der Duden dieses Werk gestaltet:

Nun erlebte ich Necati Öziri auf der Literaturbühne im Gespräch mit dem Moderator Michael Schmitt zu seinem Buch „Vatermal“. Der Roman stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Er handelt von einer Familiengeschichte über einen Sohn, eine Mutter und eine Schwester, deren Leben und Körper gezeichnet sind von sozialen und politischen Umständen. Auch er las aus seinem Buch vor. Neben dem guten Gespräch hörten wir nun gute Passagen. Das Buch trägt einen einladenden Erzählstil in einem schönen sentimentalen Ton, wie ich finde.
Ihr ahnt es, meine Buchwunschliste wächst…

Ausstellungen auf der Agora:

Die Agora von oben:

Wichtige Aussagen an einem Stand:

Nun erlebte ich Peter Wohlleben auf der Literaturbühne im Gespräch mit der Moderatorin Katty Sallie zu seinem Buch „Unser wildes Erbe – Wie Instinkte uns steuern und was das für unsere Zukunft bedeutet“. In seinem Buch gibt Peter Wohlleben Einblicke in die Natur des Menschen und fragt, wie es sein kann, dass das vermeintlich höchstentwickelte Wesen auf diesem Planeten seinen Lebensraum selbst zerstört. Anhand vieler Vergleiche zur Tier- und Pflanzenwelt zeigt er, dass wir nicht die Krone der Schöpfung sind, sondern die Evolution nach wie vor auch bei uns wirkt. Wenn wir die menschliche Natur verstehen, können wir neue Wege einschlagen, die eine lebenswerte Zukunft ermöglichen.
Peter Wohlleben sagte, er plädiere dafür, dass wir das Thema Klimaschutz emotional behandeln, im positiven Sinne, indem wir beginnen, dieses Thema mit positiven Emotionen zu besetzen.
Einige seiner guten Sätze: „Klimaschutz sollte so funktionieren, dass es die Glücksgefühle triggert.“
„Wir können irre viel machen und sollten nicht in Angst erstarren.“
„Klimaschutz muss Hirn und das Herz ansprechen.“
Ich erlebte Peter Wohlleben schon häufig hier auf der Buchmesse, immer wieder schafft er es, in einer begrenzten Zeit viel gutes und interessantes Wissen und Gedanken mitzugeben.
Er endete mit dem Satz: „Bleiben sie optimistisch.“

Hier seht ihr von links die Strafverteidigerin Christina Klemm („Gegen Frauenhass“) die hunderte Opfer geschlechtsspezifischer Verbrechen vertreten hat, daneben Jovana Reisinger („Menstruation“) die in ihrem Buch zeigt, welcher Frauenhass in Mythen und Schweigen über die Monatsblutung steckt, und daneben die Moderatorin Wiebke Porrombka.
Auf dem Foto stellen die beiden Autorinnen gerade dar, wie Frauen einander einen Tampon weiterreichen, „versteckt in einer Faust, so dass sich vermuten lässt, dass in den Händen entweder Drogen oder ein Tampon sei.“ Wie gut, wenn wir weg von dieser Tabuisierung kommen.
Es wurde darüber diskutiert, wie wichtig es ist, dass wir Wege aus der patriarchalen Gewaltspirale hinausfinden.

Also ich draußen umherging, sah ich, wie Jo Schück die Autorin Valery Tscheplanowa zu ihrem Buch „Das Pferd im Brunnen“ befragte, das alles, während sie aßen. Am Freitag wird diese besondere Buchvorstellung in Aspekte ausgestrahlt. Neben dem Buch gilt meine Bewunderung der Art, während eines Interviews so elegant essen zu können:

Der Kölner Illustrator Thorwald Spangenberg machte im Innenhof Pause und zeichnete. Was ein schöner Ort um kreativ zu sein.

Prominente sind immer wieder zu treffen, wie hier Helge Schneider:

An vielen Ständen gibt es immer wieder Lesungen und Gespräche, wie hier mit Axel Scheffler:

Gute Frage:

Einer meiner Lieblingsverlage, der Verlag Hermann Schmidt:

Und einer meiner Lieblingsmoderatoren, Gerd Scobel, der auf Literaturbühne mit dem Autor Frank Witzel über dessen Buch „Die fernen Orte des Versagens“ sprach. Ausgehend von Alltagssituationen beschreibt Frank Witzel einen bunten Strauß an Lebensentwürfen und gibt dabei ein Blick auf unterschiedliche Beweggründe menschlichen Handelns frei. Herr Rath, so heißt die Person in dem Buch, erinnert Gerd Scobel an Herr K, den wir von Bertolt Brecht kennen.
„Das Denken ist so interessant, dass es einen ein Leben lang beschäftigen kann“, so Frank Witzel.
Gerd Scobel beendete das Gespräch mit den Worten: „Ich hatte viel Spaß beim Lesen und den wünsche ich Ihnen auch.“
Übrigens erzählte Gerd Scobel, dass er, wenn er ein neues Buch beginne, zwar nicht das Ende lese, doch immer den Dank lese, der am Ende des Buches stehe. Das kenne ich auch und mache ich ebenso.

Ich besuchte den Stand der Deutschen Nationalbibliothek, der zum Mitmachen einlud, etwa Gedichte in Form eines Elfchen schreiben, Visionen zeichnen, ein Selfie machen oder mit Bauklötzen die Zukunft planen.
Viele Elfchen waren auch auf dem Bildschirm zu lesen. So was mag ich und macht für mich auch die Buchmesse aus, irgendwo unerwartet Gedichte lesen, wunderbar!
Und gerne habe ich mich einladen lassen und auch ein Elfchen geschrieben.


„Mein Nachbar auf der Wolke“ heißt der schöne Titel eines Lyrikbuchs und die nächste Veranstaltung hieß ebenso. Es war eine Lesung und ein Gespräch über die slowenische Poesie mit der Lyrikerin Miljana Cunta (auf dem Bild sitzt sie noch rechts), dem deutschen Kurator des Gastlandes Matthias Göritz und Ernst Osterkamp, dem Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. In Slowenien gilt Dichten seit jeher als eine Überlebensstrategie und gemessen an der kleinen Bevölkerungszahl gibt es eine große Fülle an lyrischen Stimmen, das machte diese Veranstaltung deutlich.

In der Stadt gibt es an verschiedenen Leseorten die Open Books, das Lesefest zur Buchmesse. So besuchte ich am Abend die Veranstaltung in der Deutschen Nationalbibliothek „Warum noch Bücher lesen? Das Ljubliana Manifest“.
Die Autoren Durs Grünbein, Matthias Göritz und Aleš Šteger sprachen über das Buch und das Lesen als Erkenntnis- und Erlebnisform. In dem Gespräch tauchte auf, dass Lesen eine heilsame Wirkung habe, in dem es so entgegengesetzt ist, zu der Reizüberflutung, der wir Menschen so häufig ausgesetzt sind. Das Gespräch zwischen den Dreien trug eine schöne, behutsame und ruhige Atmosphäre.

Das Gespräch machte deutlich, dass auch im Zeitalter des Digitalen, dass Lesen das beste Werkzeug ist, das wir für unser Denken haben. Wenn wir Literatur lesen, dann hilft uns das, andere in ihrer Besonderheit zu begreifen. Bücher lehren Empathie.
Dem stimme ich zu und hoffe, dass viele der großartigen Bücher, die hier auf der Buchmesse zu finden sind, gelesen und geliebt werden.
Es grüßt euch aus Frankfurt,
Marion
Da gibt es ja viel zu sehen und zu lesen.. Es macht einen schönen und bewegten Eindruck.
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Ja, das gibt es tatsächlich, unendlich viel zu sehen und zu erleben.
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😊🧡👍
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danke für diese wie immer spannenden und wunderbaren eindrücke! ich freu mich immer auf und über deine berichte, die viel mehr sind als „berichte“. liebe grüße und noch viel spaß in frankfurt! diana
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Mir geht es wie Diana! 💌
LG vom Lu
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Das freut mich nun doppelt:-)
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:-) :-) :-)
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Danke für deine lieben Worte, liebe Buchliebhaberin Diana.
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Ein so umfangreicher informativer Bericht, liebe Marion, daß ich ganz begeistert bin!
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Danke, liebe Bruni, schön, dass du mitfühlst.
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So ein bißchen Wehmut schleicht sich ein beim Lesen Deiner Berichte , auf die ich mich jetzt jeden Tag sehr freue, denn es ist das erste Jahr seit ganz ganz vielen an dem ich nicht mehr teilnehme an dem früheren Jahreshit. Aber nur zur Buchmesse anzureisen, wäre nicht mehr dasselbe wie früher. Ich wünsche Dir wundervolle Tage, liebe Marion.
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Ich freue mich, dass du mitliest, liebe Karin. Deine leichte Wehmut kann ich nachempfinden. Doch ich freue mich sehr, dass du diese schöne (weiter entferntere) Heimat hast, denn ich vermute, es geht dir dort sehr gut. Viele liebe Grüße, Marion
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