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2. Juli

Boot Kunst

Mir fehlt das Wissen, um zu verstehen, wie so etwas möglich ist.
Doch womöglich reicht kein Wissen der Welt, um das verstehen zu können.
Ich kenne nicht alle Hintergründe. Doch ich weiß, dass wir alle Menschen sind.
Nennt mich meinetwegen naiv, doch ich glaube, dass wir alle in der einen Welt leben und dazu aufgerufen sind, menschlich zu leben.
Wir alle kennen die Bilder, Menschen in überfüllten Booten, Menschen auf staubigen Wegen, die Geschichten in ihren Körpern und Augen zu lesen.
Ich lese Zahlen, die mich erschrecken. Tausende geflüchtete Menschen seien im Meer ertrunken. 4967 im vorigen Jahr, lese ich irgendwo. Inzwischen seien tausende dazu gekommen. Die Dunkelziffer liege deutlich höher.
Hinter all diesen Zahlen lebten Frauen, Männer, Kinder, Hoffnungen, Gefühle.
Wären es 100, 33, 14 oder 1… auch das wäre zuviel.
Manchmal wundere ich mich, dass wir in wenigen Wochen im Sand liegen, weich gebettet, am Mittelmeer Urlaub machen und einen Cocktail bei Sonnenuntergang trinken.
Wie können wir im Mittelmeer baden, wenn wir darum wissen, dass in diesem Meer all diese Menschen ihr Leben verloren haben und es weiterhin verlieren.
Es macht mich traurig, fassungslos.
Auch ich bin vermutlich eine von denen, die im Meer schwimmen und Muscheln beim Tauchen entdecken werden.
Ich wünsche mir, wir würden uns mehr empören.
Wie ist all das möglich? Eine Frage, auf die ich keine Antwort finde.
Auch ich kann nicht sagen, ich hätte von all dem nichts gewusst.
Ich verstehe nicht alle Hintergründe, doch ich verstehe, dass wir alle Menschen sind, die leben und überleben wollen.
In der Nachbarschaft wohnten Familien, die aus Syrien geflüchtet sind.
Diese Begegnungen sind mit das Schönste, was ich in den letzten Jahren erlebt habe.
Lebendige Kontakte, das Weiten des Horizontes, dazulernen.
Ich habe nichts verloren. Ich habe dazugewonnen.
Jeder der diesen Weg übers Meer oder über das Land sucht, sucht eine bessere Welt.
Eine Welt des Überlebens, der Freiheit, der Mitmenschlichkeit.
Was ist los mit uns?
Gehören die Länder nur denen, die zufällig dort geboren werden?
Daran kann ich nicht glauben.
Ich glaube – trotz allem – weiterhin an Mitmenschlichkeit.
Denn nur so können wir leben.
Nur so will ich leben.

 

 

26 Gedanken zu „2. Juli

    • Ja, manchmal ist es schwierig, daran zu glauben und doch gibt es sie, die vielen Beispiele von all den Menschen, die Mitmenschlichkeit leben. Behalten wir ihn, den Mut. Danke für deine Worte und liebe Grüße zu dir.

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  1. Wir sollten uns wirklich ALLE darauf besinnen, dass wir alle Lebewesen sind, die auf dieser Erde die selben Rechte haben. Das Miteinander scheint irgendwie in Vergessenheit zu geraten!
    Danke für diesen Beitrag!

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    • Manchmal bin ich so fassungslos, dass wir alle auf der einen Erde leben und zusehen, was geschieht. Das kann doch niemand wollen, etwa dass Menschen im Meer ertrinken. Ich wünsche mir sehr, dass wir das Miteinander leben und es wach halten.

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  2. Ein klares Bekenntnis, wie man es sich von Allen wünschen würde, die lieber den Kopf in den Sand stecken und nur an ihr Eigeninteresse glauben. Mehr Mut zur Menschlichkeit! Das hört sich profan an, aber wie viel würden wir denn tatsächlich dafür aufgeben müssen?? Es würde uns doch nicht Haus und Hof kosten! Aber wie viel könnten wir davon profitieren, alleine von dem guten Gefühl, dass wir Anderen geholfen haben!

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    • Das denke ich auch, wir geben nicht wirklich etwas auf, vielleicht wird unsere manchmal zu satte Müdigkeit ein wenig wachgerüttelt. Und ja, für andere da sein, gibt so viel zurück, beide Seiten profitieren davon. Wir kennen es doch alle, das tolle gute Gefühl, für jemanden anderen da gewesen zu sein.

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  3. Ich bin gleichermaßen entsetzt wie du, was die Fluchten mit Booten übers Mittelmeer angeht und vor allem böse und aufgebracht über Politiker wie Victor Orban…
    Solche machen mich wirklich wütend!
    Dankeschön für deine feinen Worte der Menschlichkeit…
    Liebe Morgengrüße vom Lu

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  4. Einer unserer Astronauten hat einmal von seinem ersten Tripp zur ISS erzählt und wie er dort aus dem Fenster sah und zu unserer blauen Kugel hinab schaute. Er habe keine Grenze gesehen, nirgendwo, nur Menschen bauen Grenzen und sie fangen im Kopf damit an. Grenzen haben schon immer Wirtschaftsräume geschutzt und niemals Menschen und es wird schlimmer werden, leider.

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  5. Ein Text, der mir aus dem Herzen spricht, liebe Marion!
    Mir geht es wie Dir, ich verstehe nicht, daß Menschen ertrinken müssen, daß Menschen hungern müssen, daß Menschen nicht geholfen werden darf, weil man sich strafbar machen könnte, Grenzen überschreitet, wo keine sein dürften. Orban ist ein gutes Stichwort, lieber Finbar!
    Ich verstehe sie nicht, die Gleichgültigkeit und Abgebrühtheit viel zu vieler Politiker, die nur vom Blatt entscheiden und vor der Wirklichkeit die Augen verschließen.
    Manchmal, da packt einen die Wut und man will aufbegehren, aber wo ist der rechte Ansatzpunkt, wo genau?
    Recht auf Leben muß oberstes Gebot bleiben! Dabei sind Herkunft und Hautfarbe vollkommen unerheblich.

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  6. Auch ich danke dir, liebe Marion, es braucht viele solcher Statements, es braucht viel mehr laute Stimmen gegen das, was gerade jetzt passiert, mir fehlt der nicht zu überhörbare Aufschrei!
    liebe Grüße, Ulli

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